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Günther Rabl
MÄRCHEN (fairytale)
tape music, 14min, stereo , Neupölla 1977

After finishing my work on MUGL ENTSTEIGT, I wanted to do something new with restricted material and under restricted formal aspects.
At that time I was living in an ancient castle from the 12th century. Many generations of people had left their traces in this building. One of these traces were nails.
Nails everywhere: in the walls, on the floor, in the doorposts, in the window frames, in the furniture - each of them sounding different and telling its individual story.
They inspired me to build two 'nail-fiddels': circels of nails in a piece of wood, which can be played with a bow.
I found two different tunings appropriate, one with 7 steps per octave, and one with 8.

Recordings of these simple instruments were the only material for the whole piece. In addition to the standard methods of producing sound (plucking and playing with a bow) I made a bow with sandpaper instead of hair. With this tool I got all those exciting granular sounds, you can hear in the piece.

At the same time I discovered logarithms of whole number fractions as a method to build very natural rhythms and duration series, that do not depend on any synchronizing beat. At the beginning two melodies introduce a narrative level. From this level the listener is lead step by step into a tale (without words) about things happened long, long ago: a fairytale.

There is a series of slides by Renate Porstendorfer, which adds an optical dimension to this imaginary story.
Günther Rabl

 

Günther Rabl Werke 1Günther Rabl
Werke 1 1975 - 77

Mugl entsteigt I
Mugl entsteigt II
Märchen

 

deutsch

 

 

slide series by Renate Porstendorfer

slide series by Renate Porstendorfer

fotos: © Renate Porstendorfer


 

Nachdem ich meine Arbeit an MUGL ENTSTEIT beendet hatte, hatte ich das Verlangen, einmal mit eingeschränktem Material zu komponieren und unter eingeschränkten formalen Aspekten.
Zu der Zeit hatte ich mein Studio in einem alten, desolaten Landschloss aus dem 12. Jahrhundert. Viele Generationen von Bewohnern hatten ihre Spuren darin hinterlassen. Eine dieser Spuren waren Nägel. Nägel überall: an den Wänden, am Boden, in den Türstöcken und Fensterrahmen - jeder einzelne von ihnen mit einem eigenen Klang und einer eigenen Geschichte.
Das inspirierte mich dazu, zwei Nagelgeigen zu verfertigen:
Kreise von abgestimmten Nägeln in einem Stück Holz, die man mit einem Geigenbogen spielen konnte. (In der österreichischen Volksmusik gibt es tatsächlich so ein Instrument, das zusätzlich mit einem kleinen Resonanzkörper versehen ist). Ich fand zwei Stimmungen dafür geeignet,
eine mit 7 Stufen pro Oktave und eine mit 8.

Aufnahmen von den Klängen dieser einfachen Instrumente sind das einzige Material im ganzen Stück. Zusätzlich zu den üblichen Methoden der Klangerzeugung (wie Zupfen, Anschlagen, Streichen mit einem Geigenbogen), baute ich mir einen Bogen mit Sandpapier statt Pfedehaar. Damit liessen sich diese intensiven granularen Klänge erzeugen, die abschnittweise das Stück beherrschen.

Zur selben Zeit entdeckte ich Logarithmen von ganzzahligen Brüchen als eine Methode, mit der sich sehr natürliche Rhythmen und Dauerreihen bilden lassen, die kein synchronisierendes Metrum benötigen.
Zu Beginn wird durch zwei Melodien eine erzählerische Ebene eingeführt. Von da weg gerät der Hörer Schritt für Schritt in eine Geschichte (ohne Worte), die sich vor langer Zeit zugetragen haben mag: ein Märchen eben.
G.R.

Es gibt auch eine Diaserie von Renate Porstendorfer, die zu dieser imaginären Geschichte eine optische Ebene beisteuert.

Mythenbildung
Anfang der Achzigerjahre gab es wiedereinmal eine Welle von Stadtflucht. Vor allem im Sommer bekam ich in meinem Landdomizil immer wieder Besuch von Leuten, die ich flüchtig oder überhaupt nicht kannte. Es wurde viel Musik gehört, unter anderem auch mein MÄRCHEN, das damals relativ neu war. Natürlich tauchte immer wieder die Frage auf, wie solche Klänge fabriziert werden. Einmal hatte ich einen besonders hartnäckigen Fall. Er wollte und wollte nicht verstehen, wie einfach es ist Klänge zu erzeugen und damit zu arbeiten. Ich erzählte von den Nägeln und er fragte schliesslich verzweifelt: "Ja, aber was für Nägel ?". Um die Sache zu beenden, sagte ich ins Blaue hinein: "Hunderternägel". Das stimmte zwar nicht ganz (ich glaube, es waren Achziger), aber damit war die Sache erledigt.
Ein paar Wochen später kam ich auf ein Sommerfest, bei dem auch viele Künstler anzutreffen waren (H.C.Artmann, Jörg Huber, Dieter Feichtner ...). Ich wurde einer Gruppe von Wiener Künstlern vorgestellt als einer, der am Land lebt und elektronische Musik macht. Die Verachtung stand ihnen im Gesicht geschrieben. Das fehlte noch, dass da einer vom Land kommt und ihnen, den Grossstädtern (1.7 Millionen Einwohner !), die Musik erklärt. Einer von ihnen raffte sich auf und erklärte mir unumwunden, dass es da viel interessantere Leute gibt. Da gibt's zum Beispiel einen, der spielt auf hundert Nägeln und schickt das über den Synthesizer - na, da schaust' !
Ja, da schaute ich - und erwiderte nichts.
Der mit den hundert Nägeln spukt sicherlich noch immer in irgendwelchen Köpfen. In tausend Jahren wird er berühmt sein wie Orpheus ......

 

Günther Rabl Werke 1Günther Rabl
Werke 1 1975 - 77

Mugl entsteigt I
Mugl entsteigt II
Märchen

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fotos: © Renate Porstendorfer